Dampf ablassen: Schrotte doch ein Auto! | Barbara.de

2022-08-20 10:07:47 By : Mr. la yang

Versuchsobjekt: Lena Schindler, Autorin und eine wirklich angenehme Zeitgenossin.

Testumgebung: Ein Autowrack und eine Yogamatte.

Mission: Alles muss raus – aber wie denn nur, verdammte Axt?

Der einzige Mensch, der mal meine ganze Wut abbekommen hat, ist danach aus meinem Leben verschwunden. Es muss wie im "Hulk"-Comic gewesen sein, wo aus einer freundlichen, angepassten Person plötzlich ein schreckliches Monster hervorbricht. So was passiert mit Leuten wie mir, die zu oft "Alles gut" sagen, obwohl sie "Nö, vergiss es!" meinen. Die lieber heimlich die Faust ballen, als damit auf den Tisch zu hauen. Contenance ist mein zweiter Vorname. Doch wenn Ärger zu oft runtergeschluckt wird, bahnt er sich anders seinen Weg. Und dann mit solcher Wucht, dass kein Gras mehr wächst.

Dass ich früh aufgestanden und nach Norderstedt gefahren bin, um beim Autorecycling Kiesow ein Fahrzeug zu zerhacken, läuft für mich unter Prävention – mal den ganzen Frust rauslassen, bevor es einen Unschuldigen trifft. Üblicherweise kommen Junggesellenabschiede und gestresste Business-Leute hierher, gern werden auch Gutscheine von "Mydays" für Erlebnisse wie dieses verschenkt. Allerdings nicht an mich, denn ich wirke auf andere nicht so, als wäre ich eine tickende Zeitbombe. Einen ganzen Einkaufswagen mit Vorschlaghämmern, Axt, Arbeitshandschuhen und Schutzbrille haben die freundlichen Mitarbeiter für mich hergerichtet. Den parke ich nun vor einem silberfarbenen Opel ohne Räder. In weiser Voraussicht wurden vorher die Betriebsstoffe abgelassen. Damit nicht auch noch die Karre explodiert.

Es ist kein konkretes Ereignis, das mich wütend macht, keine bestimmte Person, auf die ich losgehen möchte. Es ist diffus. Aber ich merke, wie es größer wird, dieses Knäuel im Bauch. Es besteht aus Ungerechtigkeiten, die ich schwer aushalte. Aus Leuten, die einem subtil etwas vor den Latz knallen und es als Freundlichkeit verkaufen, aus dem Hundehaufen vor der Tür, der im Gitterprofil meiner Turnschuhsohle klebt. Es ist die Summe dessen, was sich giftig in mir zusammenbraut. Und bald überkocht. Weil es mir nicht gelingt, es wohldosiert und an richtiger Stelle abzugeben.

Ich ziehe Handschuhe an, setze die Schutzbrille auf und wähle einen Hammer der leichteren Gewichtsklasse aus meinem Einkaufswagen. Der Sound von Rage Against the Machine kommt mir in den Kopf, jener Band, die Anfang der 90er ein ganz neues Genre erfunden hatte, Kreischraprock, meine innere Playlist für die kommende Stunde. Ich sehne den "Blutrausch" herbei, von dem mein Nachbar gesprochen hat, der mal mit seinen Jungs hier war, hole aus, und – pock – der Hammer trifft aufs Blech, rutscht zur Seite weg, eine winzige Delle entsteht. In mir breitet sich ein Gefühl von Ernüchterung aus. Darüber, dass mir die Power fehlt, nennenswerten Schaden anzurichten. Ich will, dass es kracht und splittert, nehme einen schwereren Hammer, bekomme ihn gerade so hoch, schlage auf die Seitenscheibe ein, noch mal und noch mal und … "Verdammte Wichskarre!", entfährt es mir, als sie auch jetzt nicht zerspringt. Sofort schäme ich mich. Hat mich jemand gehört?

Alles in mich hineinfressen, was nervt, das habe ich gut drauf. Bloß nicht als Hysterikerin oder verspannte Zicke gelten. Die Zuschreibungen, mit denen Frauen bedacht werden, die Gefühle abseits von Freundlichkeit und Fürsorge zeigen, sind meist abwertend. Darum verbieten wir uns, laut zu werden, zornig zu sein. Wie sehr ich diese Zensur verinnerlicht habe, wird mir bewusst, als ich versuche, hier die Kontrolle abzugeben. Auszurasten ist für Menschen wie mich eine hohe Kunst.

Noch mal. Endlich zerbirst die Scheibe, und unzählige kleine Glaswürfel verteilen sich auf den Autositzen. So. Doch um eine Verbindung zu dem zu bekommen, was ich loswerden will, muss ich mich richtig konzentrieren. Mich an Momente erinnern, die wehtaten, an verpasste Chancen, laut zu schreien. Dann merke ich, wie etwas in mir hochsteigt, das sich groß anfühlt und ordentlich brennt. Ich schimpfe und hacke auf das Auto ein, der Schweiß rinnt mir von der Stirn, mischt sich mit Mascara, meine Augen tränen. Doch es ist nur ein Moment, dann schalte ich wieder in den Kontrollmodus: Wie peinlich ist diese Performance, bitte? Wie schlimm wäre es, einen Glassplitter abzukriegen? Ich habe mich so sehr im Griff, dass ich mich nicht mal mit einem Auto ernsthaft auseinandersetzen kann.

Anders als die Seitenfenster, ist die Frontscheibe offenbar mit einer klebrigen Beschichtung überzogen. So sehr ich auch darauf einhämmere, es bilden sich bloß kreisförmige Risse wie um Einschusslöcher. "Aaaaaaaargh", kommt es kehlig aus mir heraus. Ich würde gern sagen, das hätte sich angehört wie ein Geräusch aus der Hölle, aber tatsächlich klingt es eher so, als hätte ich versucht, während der Zahnreinigung ein Gespräch zu führen.

Als ich mit dem Opel fertig bin, versuche ich, einen Zusammenhang zwischen dem Zustand des Autos und meinem eigenen herzustellen. Der Wagen sieht leicht lädiert aus, ich wie nach einem Verkehrsunfall. Mir zittern die Beine, ich brauche eine Dusche, eine Portion Pommes Schranke und ein Malzbier vom Autorecycling-Imbiss. Doch meine Rechnungen sind offengeblieben. Nach wie vor befinden sich Menschen in meinem Umfeld in Gefahr.

Ein paar Tage später erhalte ich Post vom Amt, über die ich nicht sprechen will. Ich spüre, dass es noch lange nicht gut ist. Es wäre eine angemessene Reaktion, die Person, bei der ich mich immerhin zaghaft beschwere, ordentlich zusammenzufalten. Doch ich bin abhängig von ihrer Gunst und muss mich beherrschen – wieder mal. Mir steigen zornige Tränen hoch, ich kann vor Ärger kaum schlucken. Auf ihr "Alles Gute!" antworte ich nichts, was mich kurz in dem Glauben lässt, es ihr richtig gegeben zu haben. Doch in den Stunden danach baut es sich wieder auf, dieses Gefühl, zu explodieren. Wohin bloß damit?

Mir pocht noch immer die Halsschlagader, als ich meine fliederfarbene Yoga-matte im Wohnzimmer ausrolle und eine 0,5-Liter-Dose Bier in Reichweite platziere. Top-Voraussetzungen fürs "Rage Yoga": Die Kinder sind bei Oma, die Nachbarn im Urlaub, ich im Brass. Die Kanadierin Lindsay Istace erscheint auf meinem Bildschirm, bei ihr läuft kein meditativer Klangschalen-Sound, sondern Heavy Metal. Auf ihrem T-Shirt: das "Parental Advisory"-Label, mit dem in den USA Songs gekennzeichnet werden, die Minderjährige lieber nicht hören sollen. Sonst sieht die 29-Jährige mit roter Ponyfrisur harmlos aus. Sie hat diese Yogavariante, bei der geflucht wird und sogar Alkohol erlaubt ist, erfunden, weil die betont entspannte Atmosphäre in traditionellen Studios sie eher aggressiv machte.

Kann ich verstehen.Auch mir war es dort oft zu ernst, zu leise, zu heilig. Heute habe ich mich für "Angry Days Yoga" entschieden, das zum Ziel hat, "niemandem mehr den Kopf abreißen oder seine Augäpfel essen zu wollen", sagt Lindsay. Und schiebt sich ein paar Jelly Beans in den Mund. Ich hatte erwartet, dass das Ganze komplett drüber sein könnte, aber es ist ein echtes, konzentriertes Training. Nur dass harte Bässe mich dabei anfeuern und der Krieger 2 mit "Faust-Einhörnern" (geflexter Mittelfinger!) ausgeführt wird. Angestautes Rausatmen und dabei ausfallend werden liegt mir. "Scheiße" sage ich oft. Und Schlimmeres. Es hat etwas Kraftvolles. Vor allem aber denke ich dabei an fast gar nichts, muss mich nicht darauf fokussieren, wer oder was mich ärgert, ich bin viel näher an diesem Ohnmachtsgefühl, das mit jedem Kraftausdruck ein klein wenig von seiner Gewalt verliert. "Inhale the good shit, exhale the bullshit" lautet das Mantra.

Mein Bier habe ich darüber komplett vergessen. Ich fühle mich seltsam entspannt und ausgeglichen. Ob das der Zustand ist, den Lindsay als "Zen as f***" beschrieben hat? Mein Blick fällt auf das Opel-Emblem, das ich ein paar Tage zuvor von der Motorhaube abgerissen habe. Ein Blitz. Vielleicht sollte ich es den Unterlagen für meine Sachbearbeiterin beilegen. Als kleine Warnung.

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